Reisebericht von Ingrid Thiry

Sonntag 5. Dezember 2004

Ingrid Thiry verbrachte im August/September 2004 einen dreiwöchigen Arbeitsurlaub in St. Luke`s.

Liebe Freunde vom Afrikaprojekt,

in der Zeit von 23.08. bis 13.09.2004 besuchte ich Dr. Schales in St. Luke`s.
Als erster Gast durfte ich das neu erbaute Gästehaus beziehen. Ein gelungenes Projekt, das durch die tatkräftige Mitarbeit und umsichtige Koordination von Alexander Threm, einem 20-jährigen Zivildienst-leistenden aus dem Saarland, zügig gebaut werden konnte. Das Gästehaus bietet fünf Gästen in zwei Doppelzimmern und einem Einzel-zimmer Unterkunft. Eine großzügige Küche, ein Esszimmer, ein Wohnzimmer und ein großer Büro- und Sitzungsraum komplettieren das Gebäude.
Obwohl schon mehrere Besucher die Zustände im Krankenhaus beschrieben haben, wurden meine Vorstellungen durch die Realität korrigiert: ein solches Ausmaß an Armut, Elend und Leid ( vor allem in Folge der extrem hohen Rate an Aids-Kranken ) kannte ich zwar von Bildern, hatte ich aber noch nie mit eigenen Augen gesehen.

Auf dem Klinikgelände befindet sich eine so genannte ´Schwangeren-wartezone`. Auf maximal 130 Schwangere begrenzt, warten sie mit ihren Kleinkindern und mindestens einer Angehörigen in einem für sie vorgesehenen Areal, das vom übrigen Klinikbereich abgegrenzt ist. Die Frauen kommen in der Regel drei bis vier Wochen vor ihrem Entbindungs-termin ans Krankenhaus, um sicher zu gehen, dass sie ihr Kind unter fachlicher Aufsicht entbinden können. Die Mehrzahl von ihnen ´wohnt` im Freien, sie schläft auf Wolldecken am Boden (im Winter kann es bis zu Null Grad werden) und ist ohne Dach jeder Witterung ausgesetzt. Für einige wenige gibt es eine völlig überfüllte einfache Unterkunft, die ausschließlich einen Schlafplatz auf dem Boden bietet. Allen steht eine einzige Toilette zur Verfügung. Die Verpflegung muss mitgebracht werden, gekocht wird im Freien auf offenem Feuer. Der gesamte Alltag spielt sich unter freiem Himmel auf staubigem Boden ab. Dazu gehören auch frei herumlaufende Hühner und Esel. Die Atmosphäre wirkt dennoch friedlich und ruhig. Den Frauen kommt in Zimbabwe eine tragende Rolle zuteil: sie arbeiten sehr hart, haben Familiensinn und zeigen Entschlossenheit.
´Sie stellen das Knochenmark des alltäglichen Kampfes dar.`
(Chenjerai Hove, ein Schriftsteller aus Zimbabwe)

Das Gesundheitswesen ist aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Situation zusammengebrochen. Mit den Folgen muss sich Dr. Schales tagtäglich auseinander setzten. Das Krankenhaus ist phasenweise völlig überfüllt, Medikamente, Arbeits- und Hilfsmittel werden unzureichend von der Regierung zur Verfügung gestellt. Medikamente zur Behandlung von Aids gibt es trotz vieler offizieller Versprechungen immer noch nicht. Diese ohnehin schwierige Situation wird für Dr. Schales durch die mangelnde Arbeitsmoral und Arbeitsmotivation sowie das fehlende Verantwortungsbewusstsein des Personals erschwert. Aus einer Entfernung von bis zu 300 Km suchen die kranken Menschen und schwangeren Frauen Hilfe bei Dr. Schales und seinen beiden Ärztinnen. Das Einzugsgebiet umfasst ca. 150.000 Menschen (Saarbrücken hat 183.000 Einwohner). Näher gelegene Krankenhäuser sind entweder geschlossen oder es gibt keine Ärzte und kein Personal mehr. Die noch wenigen funktionierenden staatlichen Krankenhäuser sind für einen Großteil der Bevölkerung nicht mehr bezahlbar. Das St. Luke`s Krankenhaus ist nahezu kostenfrei für die Patienten.

Seit Jahren geht ist in Zimbabwe wirtschaftlich bergab, doch nun stehen das Land und seine Bevölkerung vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Bedingt durch den massiven Währungsverfall (über 600% im Frühjahr 2004 ) werden selbst Grundnahrungsmittel unerschwinglich und die medizinische Versorgung unbezahlbar. Im formellen Sektor sind 75% der Zimbabwer arbeitslos und erzielen keine regelmäßigen Einkünfte. Viele Bewohner versuchen durch Selbstversorgung und einen regen Tausch-handel zu überleben. Die Einwohner mit einer qualifizierten Berufsaus-bildung, Akademiker und weiße Farmer verlassen das Land. Dies hat zur Folge, dass die Mittelschicht, durch die in der Regel die politische Opposition gebildet wird, fehlt, und Präsident Robert Mugabe seine politischen Gegner ausgeschaltet hat.
Die zurückbleibende Landbevölkerung wird von der Regierungspartei massiv eingeschüchtert und Oppositionelle werden mit brutaler Gewalt verfolgt.
Das größte Problem stellt die gnadenlos voranschreitende Durch-seuchung mit HIV dar. Die mittlere Generation stirbt weg und zurück bleiben die Alten und die Kinder. Die arbeitsfähige Generation nimmt rapide ab, gesellschaftliche Werte, Normen und Bildungsinhalte können von der Großelterngeneration, die selbst schon bis zu 12 Kinder großgezogen hat, nur unzureichend tradiert und vermittelt werden. Eine wirtschaftliche, gesellschaftliche und persönliche Katastrophe, deren Ausmaße nicht abzuschätzen sind.
Das ehemals vorbildliche Bildungswesen liegt mittlerweile ebenso am Boden. Während meines Aufenthaltes hatte ich die Gelegenheit, einige Schulen im Umkreis von St. Luke`s zu besichtigen. Schon von Ferne erkannte ich die Schulen, die mit Unterstützung des Afrikaprojektes renoviert und mit einem farbenfrohen Anstrich verschönert worden sind. Sehr überzeugend stellte sich für mich das Patenschaftsprojekt dar, ein Segen für alle bedürftigen Schulkinder dieser Region. Auch die Schulleiter sind überwältigt von der Hilfe aus dem Saarland, sie fühlen sich nach eigenen Aussagen nicht so alleine gelassen in diesem armen Land, wo sich niemand für die Bedürfnisse der Bevölkerung interessiert.

Vor meinem Rückflug nach Deutschland besuchte ich mit Dr. Schales die Mülldeponie in Bulawayo. Dort leben Menschen (viele ehemalige Strafgefangene), die sich mit Hilfe verwertbarer Materialien (z.B. leere Flaschen, Autoreifen) der Deponie am Leben erhalten. Dr. Schales untersucht dort in unregelmäßigen Abständen die Bewohner auf Initiative von Father Innocent (die Deponie befindet sich in seiner Pfarrei ). Nahezu alle ihre Bewohner – zuerst die Männer, dann folgen die Frauen, zum Schluss die Kinder -, stellten sich diszipliniert, geduldig und mit einer erstaunlichen Ruhe in der Warteschlange an. Die reichlich mitgebrachten Medikamente waren schnell verteilt und konnten den tatsächlichen Bedarf nicht decken. Viele mussten auf den nächsten Besuch von Dr. Schales vertröstet werden. Fast jeder Bewohner ist mit HIV infiziert und leidet an den Folgeerkrankungen von Aids: Tuberkulose, schwere Lungenentzündungen, Diarrhoe, Hautgeschwüre, Meningitis, Pilzerkrankungen, Entzündungen und Infektionen verschiedenster Art.

Es ist erschütternd und ergreifend zugleich zu sehen, wie leidensfähig diese Menschen sind und wie geduldig sie ihr Schicksal ertragen, bei aller Hoffnungslosigkeit ihre Lebensfreude dennoch nicht verlieren.

Dr. Schales und das Afrikaprojekt leisten Enormes in und für diese Region. Ohne die Hilfe wären Tausende von Kranken, Schwangeren, Neugeborenen und Kindern medizinisch unversorgt, der Hoffnungs-losigkeit ausgesetzt, Hunderte von Schulkindern ohne Bildung, um nur Teilbereiche der humanitären Hilfe des Afrikaprojektes zu nennen. Mit unermüdlichem Einsatz begeistert sich Dr. Schales für das Leben, eine Haltung, die größten Respekt und Bewunderung verdient.

Am Ende meines Besuches in St. Luke’s habe ich die Arbeit von Dr. Schales und des Afrikaprojektes mit ´anderen`Augen gesehen und den Satz von Dr. Schales neu verstanden:

´Wir dürfen nur nicht in unseren bequemen Sesseln sitzen bleiben, wenn es an unserer Türe klopft.`

Viele Grüße,
Ingrid Thiry