Simbabwe

There is no hurry in Africa - Keine Eile in Afrika

Mittwoch 19. April 2017

Reisebericht von Kyra Lilier April 2017

Es ist schwierig, eine sinnvolle Art zu finden, meine Erlebnisse und Erfahrungen beim Besuch des Afrikaprojektes festzuhalten. Alle Eindrücke unter einen Hut zu bekommen,ist fast unmöglich. Jeden Tag passiert etwas Neues und alles ist so anders als in Deutschland, so dass man es eigentlich selbst erlebt haben muss. Also berichte ich lieber in einem "Wochenbuch" aus dem Alltag– natürlich stark komprimiert, um den Rahmen nicht zu sprengen, von dem,was mich am meisten berührt hat.

Woche 1: Ankunft und Fahrt nach St. Luke's

In den ersten Tagen in Simbabwe macht mein Gehirn regelmäßig Purzelbäume. Die Buchhaltung im Kopf kommt einfach nicht nach mit der Archivierung der Eindrücke. Obwohl man es ja aus Nachrichten, Zeitungen, Filmen kennt, man es doch eigentlich weiß, wie es "da unten" so läuft. Trotzdem: Alles ist anders, nicht nur anders, es ist auch oft das Gegenteil.

Mich begrüßt eine grüne Hölle. "Es hat so viel geregnet wie seit 60 Jahren nicht mehr", heißt es. In allen möglichen Grüntönen feiert die Natur das Leben. Unendliche Weite, sanfte Hügel mit Büschen, Bäumen und Gras überzogen, der Himmel mit kleinen Wolken, die in exakt gleichem Abstand ins Blau getupft sind. Es nicht möglich, die Schönheit der Natur zu fassen, geschweige denn zu beschreiben. Das Land verschluckt mich und trotzdem fühle ich mich so frei wie selten.

Schnurgerade verläuft das graue Band der Straße durch dieses Grün von Vicfalls nach St. Luke's. Immer wieder stehen ein paar Ziegen, Kühe oder Esel auf dem Asphalt und gucken blöd, wenn man vorbei will. Mit Esel sind hier sowohl die Tiere, als auch die Polizisten gemeint, die gerne eine lockere Schraube am Auto finden, durch die sie sich ihren Lebensunterhalt mit einem Protokoll finanzieren lassen.

Einen Teil der Strecke begleitet uns außerdem eine Schlange von Menschen mit Körben und Schubkarren bis zu einer heruntergekommenen Hütte am Straßenrand, dann kommt uns ein anderer Menschenstrom entgegen. Von allen Seiten kommen sie, oft mehr als 20 km, um etwas abzubekommen, vielleicht etwas umsonst von einer Hilfslieferung. Dass bei dieser Reise in "afrikanischem Tempo" ein ganzer Tag draufgeht, ist nicht schlimm, denn Tage gibt es viele. Überhaupt gibt es hier eines zu genüge, und das ist die Zeit. Die bietet sich hier an jeder Ecke gratis an, drängt sich einem fast schon auf und vor lauter Zeit vergisst man am Ende noch, was man machen wollte. Aber "No hurry in Africa!", bekomme ich hier oft zu hören.

Also tragen die Menschen die Körner der niemals endenden Sanduhr ab, indem sie im Schatten am Straßenrand warten (vielleicht auf den Bus, vielleicht auf den Messias) oder indem sie von nirgendwo nach irgendwo gehen. So hat jede Kultur ihr eigenes System entwickelt, um die Zeit des Lebens totzuschlagen, hier mit Auf-Etwas-Warten und Wohin-Laufen, bei uns mit Fernsehen, Internet und Stress.

Doch die Erfindung des Stress wird an den afrikanischen Grenzen hoch verzollt und tröpfelt so nur in Zeitlupe ins Land: "No hurry in Africa!"

Woche 2: Im Busch & im Krankenhaus

Heute bin ich mit Hans in den Busch gefahren, um Makhosi (ca. 8 Jahre) und Knowledge (14 Jahre) zu besuchen. Die beiden HIV-positiven Waisenkinder hat Hans in der Woche zuvor im Krankenhaus untersucht. Ihr Ernährungszustand ist sehr schlecht, Makhosis Oberschenkel sind so dünn wie meine Unterarme und Knowledge sieht aus, als wäre er erst acht Jahre alt. Darum hat Hans für beide eine Grundausstattung mit Nahrung und Körperpflegeprodukten geordert, die der Fahrer in Bulawayo einkauft und die wir in den Busch ausliefern. Wir wollen uns ihre Lebenssituation anschauen und sehen, wie wir sonst helfen können.

Doch unsere Fahrt wird durch einen Wolkenbruch vereitelt, sodass wir den zweiten Versuch am nächsten Tag starten, aber wie überall in Afrika wartet eine Überraschung an jeder Ecke. Als wir nämlich zu dem heruntergekommenen Kral kommen, in dem Makhosi wohnt, ist dieser verlassen. Die Nachbarn sagen, die Familie sei umgezogen. Nur eine Solarzelle liegt noch neben den alten Decken in den traditionellen, runden Tonhäusern. Nun ist es sowieso schon schwer genug, einen Kral im Busch zu finden, aber eine umziehende Familie ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Nach einigem Hin und Her findet sich jemand, der uns den Weg weist. Doch die Straße ist so schlecht, dass wir schließlich aufgeben müssen. Etwas verzweifelt und genervt steigen wir aus und beschließen gerade zurückzufahren, als die Großmutter mit Makhosi aus dem Busch kommt. Es ist sehr schwierig, Details aus ihr herauszubekommen. Anscheinend war Makhosi seit 6 Monaten nicht mehr in der Schule und hat noch zwei jüngere Brüder, für die auch kein Schulgeld da ist. Zudem hat er nicht einmal eine Geburtsurkunde, die hier dem Personalausweis entspricht. Eine ziemlich ausweglose Situation, dennoch hoffen wir mit den Nahrungsmitteln zumindest den Ernährungszustand zu verbessern und am nächsten Montag soll er wieder in die Schule gehen. Außerdem werden regelmäßige Krankenhausbesuche angeordnet. So verlassen wir den Jungen mit einem etwas unguten Gefühl, denn ob unsere Lieferungen wirklich bei ihm ankommen, steht in den Sternen. Den anderen Jungen holen wir in der Schule ab. Auch für ihn zahlt das Afrikaprojekt das Schulgeld, doch insgesamt scheint er etwas organisierter zu sein. Immerhin geht er zur Schule und spricht schon ein bisschen Englisch. Als er uns zu seinem Kral lotst, treffen wir seine Großmutter. Die "Küche", ein rundes Tonhaus, ist sehr ordentlich und gut in Schuss. Mit etwas mehr Hoffnung können wir hier die Lebensmittel abliefern und Knowledge und seine Oma bedanken sich überschwänglich. Auch die Lehrerin können wir einweihen, sodass sie ein Auge auf den Jungen haben kann. Sein Gesundheitszustand wird überwacht und mit den richtigen Medikamenten hat er gute Chancen alt zu werden. Es ist schön zu sehen, wie sich die Kinder über das Essen freuen, doch auf der anderen Seite ist es traurig, wie vielen man nicht helfen kann. Denn solche Geschichten, wie bei diesen beiden, hört Hans hier jede Woche und immer kommt jemand und fragt nach Unterstützung für Schulgeld oder medizinischer Hilfe. Meist ist am nächsten Tag die Deadline für die Examensgebühr oder ein Verwandter braucht dringend Blut. Die Leute wissen, an welche Tür sie klopfen müssen, wenn sie etwas brauchen und schnell fühlt man sich "ausgenutzt". Hans hingegen versucht unermüdlich zu tun, was er kann und jedem zu helfen so gut es geht. Woher er die Energie dafür nimmt, ist mir rätselhaft und oft genug stehe ich nur da und bewundere diese Ausdauer.

Auch im Krankenhaus läuft nicht alles immer nach Plan, denn oft genug sind die Ärzte bei Workshops, die von der Regierung bezahlt werden, und nicht im Krankenhaus. Meist täglich macht Hans Ultraschalls, denn die Mütter vertrauen auf seine Erfahrung und es findet sich niemand anderes, der es übernehmen will. Doch es gibt auch Dinge, die nach Plan laufen, wie z.B. das Infusionprojekt. Dabei stellt das Krankenhaus als einziges in ganz Simbabwe die benötigten Infusionen selbst her. Anfangs war ich nicht ganz überzeugt, denn mir war unklar, ob es unter diesen, für deutsche Verhältnisse eher unprofessionellen Rahmenbedingungen, möglich ist, steril zu produzieren. Doch Brian, der Projektleiter, hat mir gezeigt wie gut und zuverlässig es funktioniert und sogar andere Krankenhäuser sind an dieser Technik interessiert. Hans sagt immer: "Die Simbabwer finden immer einen Weg", und das kann ich definitiv bestätigen. Wie man mit verhältnismäßig wenig Technik etwas so Essentielles schafft, hat mich tief beeindruckt.

Woche 3: Besuch der Schulen

Immer wenn ich vor der Schule aus dem Auto steige, passiert dasselbe: Den Kindern fallen die Augen aus dem Kopf, denn eine "Kiwa" (eine Weiße) sieht man im "tiefsten Busch" selten. Natürlich verbreitet sich die Nachricht über meine Ankunft wie ein Lauffeuer und so begleiten mich bald 300 Augen auf Schritt und Tritt. Komme ich den kleinen Kindern zu nahe, dann rennen sie weg und verstecken sich. Doch schrittweise siegt die Neugier und sie winken mir zurück oder kommen sogar, um mir die Hand zu geben. Dann stolpern sie gleich wieder davon, können ihr Glück nicht fassen und riechen noch den ganzen Mittag an ihren Händen. "Wenn ich groß bin, will ich auch eine "Kiwa" werden", erzählt mir ein Mädchen. Sie sind begeistert von allem, egal was ich mache und so schließen sich mir immer mehr Kinder an, mit denen ich bastle und Armbändchen flechte, die sie dann mit Stolz tragen.

Dann ist "Feeding time": Zuerst bilden die Kleinen eine lange Schlange vor einer Frau mit einem Eimer Wasser, wo sich alle kurz die Hände waschen. Dann reihen sich alle vor der "Küche" auf, einem runden Tonhaus mit Strohdach und einem riesigen Topf Porridge darin. Brav halten sie ihre Teller hin und verschwinden dann im Schatten unter den Bäumen, wo sie sich kreuz und quer hinsetzen. "Für viele war das die einzige Mahlzeit während der Trockenzeit", erzählt die Direktorin, "Jetzt, wo es geregnet hat, können die Familien aber auch langsam ernten." In Anbetracht des freudigen Geschreis beim Läuten der Essensglocke glaube ich das sofort.

Schließlich geht es zurück in die Klassen, nachdem jeder seinen Teller wieder ordnungsgemäß abgewaschen hat. 60 – 80 Kinder pro Lehrer sind keine Seltenheit, denn es gibt oft kein Geld vom Staat für die Gehälter, wie es offiziell heißt. Als ich die Lehrerin frage, wie man 80 Kindern etwas beibringt, lacht sie. Den vorderen 20 könne sie etwas vermitteln, der Rest sitze mehr oder weniger produktiv die Zeit ab. Manche Kinder könnten nach ihrem Abschluss kein Englisch, auch weil der Schulweg bis zu 10 km lang ist und die Schüler nach dieser Anstrengung wenig aufnahmefähig sind. Nach so einem Marsch haben sie Hunger und sparen sich ihre Reserven für den Rückweg. Kein Wunder, dass die Eltern dafür nur ungern ihr sowieso schon knappes Geld ausgeben. In den weiterführenden Schulen sehe es besser aus, allerdings gehe da nicht jeder hin, da die Kinder meist anfangen zu arbeiten und die Mädchen schwanger werden. Die Schulgeldzahlungen des Afrikaprojekts können da zum Glück viele Kinder in der Schule halten, betrachtet man jedoch die Situation im ganzen Land, so ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber eben ein sehr wertvoller.

Eines schafft die Schule aber auf jeden Fall, und das ist Freude für ihre Schüler. Sie können zusammen spielen, kommen mal von zu Hause weg und haben zumindest die Möglichkeit über sauberes Wasser, Krankheiten, etc. aufgeklärt zu werden. Stolz präsentieren sie mir auch ihr Englischbuch "My better world", in dem es vor allem um ihre Lebenssituation und ihre Träume geht. Bei dem Thema "Was mir wichtig ist" steht meist Familie zuoberst, aber auch berufliche Karriere wollen sie machen. Durch Geschichten über Kinder, die zur Schule gegangen sind und einen Beruf erlernen konnten, versucht das Buch ihnen Mut zu machen und sie auch an ihre Träume glauben zu lassen.

Und das tun sie: Krankenschwester, Flugbegleiter, Verkäufer, Manager, wollen sie werden. Und so, wie sie davon reden, hege ich keine Zweifel, dass sie es schaffen können, auch wenn ihnen mehr Steine im Weg liegen als Schülern in Deutschland. Oder gerade deswegen?

Denn vielleicht ist doch alles gar nicht so hoffnungslos, wie es zu Beginn scheint. Natürlich gibt es noch eine Menge zu verbessern und 1000 Möglichkeiten, wo man anfangen könnte. Aber wenn man nie losläuft, kommt man auch nie ans Ziel. Das Afrikaprojekt hat auf dem langen Weg dorthin schon einen riesengroßen Schritt getan und die Früchte dieser Arbeit ernten alle Beteiligten jeden Tag und jedes Jahr. Und jede folgende Generation wird davon mehr und mehr profitieren. Und in Zukunft wird in diesem Land, in dem Himmel und Hölle aufeinandertreffen, dann hoffentlich ein bisschen mehr Himmel sein.

Kyra Lilier, im April 2017
Abiturientin Gymnasium Johanneum

Abiturientin Gymnasium Johanneum

Saarland

There is no hurry in Africa - Keine Eile in Afrika

Mittwoch 19. April 2017

Reisebericht von Kyra Lilier April 2017

Es ist schwierig, eine sinnvolle Art zu finden, meine Erlebnisse und Erfahrungen beim Besuch des Afrikaprojektes festzuhalten. Alle Eindrücke unter einen Hut zu bekommen,ist fast unmöglich. Jeden Tag passiert etwas Neues und alles ist so anders als in Deutschland, so dass man es eigentlich selbst erlebt haben muss. Also berichte ich lieber in einem "Wochenbuch" aus dem Alltag– natürlich stark komprimiert, um den Rahmen nicht zu sprengen, von dem,was mich am meisten berührt hat.

Woche 1: Ankunft und Fahrt nach St. Luke's

In den ersten Tagen in Simbabwe macht mein Gehirn regelmäßig Purzelbäume. Die Buchhaltung im Kopf kommt einfach nicht nach mit der Archivierung der Eindrücke. Obwohl man es ja aus Nachrichten, Zeitungen, Filmen kennt, man es doch eigentlich weiß, wie es "da unten" so läuft. Trotzdem: Alles ist anders, nicht nur anders, es ist auch oft das Gegenteil.

Mich begrüßt eine grüne Hölle. "Es hat so viel geregnet wie seit 60 Jahren nicht mehr", heißt es. In allen möglichen Grüntönen feiert die Natur das Leben. Unendliche Weite, sanfte Hügel mit Büschen, Bäumen und Gras überzogen, der Himmel mit kleinen Wolken, die in exakt gleichem Abstand ins Blau getupft sind. Es nicht möglich, die Schönheit der Natur zu fassen, geschweige denn zu beschreiben. Das Land verschluckt mich und trotzdem fühle ich mich so frei wie selten.

Schnurgerade verläuft das graue Band der Straße durch dieses Grün von Vicfalls nach St. Luke's. Immer wieder stehen ein paar Ziegen, Kühe oder Esel auf dem Asphalt und gucken blöd, wenn man vorbei will. Mit Esel sind hier sowohl die Tiere, als auch die Polizisten gemeint, die gerne eine lockere Schraube am Auto finden, durch die sie sich ihren Lebensunterhalt mit einem Protokoll finanzieren lassen.

Einen Teil der Strecke begleitet uns außerdem eine Schlange von Menschen mit Körben und Schubkarren bis zu einer heruntergekommenen Hütte am Straßenrand, dann kommt uns ein anderer Menschenstrom entgegen. Von allen Seiten kommen sie, oft mehr als 20 km, um etwas abzubekommen, vielleicht etwas umsonst von einer Hilfslieferung. Dass bei dieser Reise in "afrikanischem Tempo" ein ganzer Tag draufgeht, ist nicht schlimm, denn Tage gibt es viele. Überhaupt gibt es hier eines zu genüge, und das ist die Zeit. Die bietet sich hier an jeder Ecke gratis an, drängt sich einem fast schon auf und vor lauter Zeit vergisst man am Ende noch, was man machen wollte. Aber "No hurry in Africa!", bekomme ich hier oft zu hören.

Also tragen die Menschen die Körner der niemals endenden Sanduhr ab, indem sie im Schatten am Straßenrand warten (vielleicht auf den Bus, vielleicht auf den Messias) oder indem sie von nirgendwo nach irgendwo gehen. So hat jede Kultur ihr eigenes System entwickelt, um die Zeit des Lebens totzuschlagen, hier mit Auf-Etwas-Warten und Wohin-Laufen, bei uns mit Fernsehen, Internet und Stress.

Doch die Erfindung des Stress wird an den afrikanischen Grenzen hoch verzollt und tröpfelt so nur in Zeitlupe ins Land: "No hurry in Africa!"

Woche 2: Im Busch & im Krankenhaus

Heute bin ich mit Hans in den Busch gefahren, um Makhosi (ca. 8 Jahre) und Knowledge (14 Jahre) zu besuchen. Die beiden HIV-positiven Waisenkinder hat Hans in der Woche zuvor im Krankenhaus untersucht. Ihr Ernährungszustand ist sehr schlecht, Makhosis Oberschenkel sind so dünn wie meine Unterarme und Knowledge sieht aus, als wäre er erst acht Jahre alt. Darum hat Hans für beide eine Grundausstattung mit Nahrung und Körperpflegeprodukten geordert, die der Fahrer in Bulawayo einkauft und die wir in den Busch ausliefern. Wir wollen uns ihre Lebenssituation anschauen und sehen, wie wir sonst helfen können.

Doch unsere Fahrt wird durch einen Wolkenbruch vereitelt, sodass wir den zweiten Versuch am nächsten Tag starten, aber wie überall in Afrika wartet eine Überraschung an jeder Ecke. Als wir nämlich zu dem heruntergekommenen Kral kommen, in dem Makhosi wohnt, ist dieser verlassen. Die Nachbarn sagen, die Familie sei umgezogen. Nur eine Solarzelle liegt noch neben den alten Decken in den traditionellen, runden Tonhäusern. Nun ist es sowieso schon schwer genug, einen Kral im Busch zu finden, aber eine umziehende Familie ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Nach einigem Hin und Her findet sich jemand, der uns den Weg weist. Doch die Straße ist so schlecht, dass wir schließlich aufgeben müssen. Etwas verzweifelt und genervt steigen wir aus und beschließen gerade zurückzufahren, als die Großmutter mit Makhosi aus dem Busch kommt. Es ist sehr schwierig, Details aus ihr herauszubekommen. Anscheinend war Makhosi seit 6 Monaten nicht mehr in der Schule und hat noch zwei jüngere Brüder, für die auch kein Schulgeld da ist. Zudem hat er nicht einmal eine Geburtsurkunde, die hier dem Personalausweis entspricht. Eine ziemlich ausweglose Situation, dennoch hoffen wir mit den Nahrungsmitteln zumindest den Ernährungszustand zu verbessern und am nächsten Montag soll er wieder in die Schule gehen. Außerdem werden regelmäßige Krankenhausbesuche angeordnet. So verlassen wir den Jungen mit einem etwas unguten Gefühl, denn ob unsere Lieferungen wirklich bei ihm ankommen, steht in den Sternen. Den anderen Jungen holen wir in der Schule ab. Auch für ihn zahlt das Afrikaprojekt das Schulgeld, doch insgesamt scheint er etwas organisierter zu sein. Immerhin geht er zur Schule und spricht schon ein bisschen Englisch. Als er uns zu seinem Kral lotst, treffen wir seine Großmutter. Die "Küche", ein rundes Tonhaus, ist sehr ordentlich und gut in Schuss. Mit etwas mehr Hoffnung können wir hier die Lebensmittel abliefern und Knowledge und seine Oma bedanken sich überschwänglich. Auch die Lehrerin können wir einweihen, sodass sie ein Auge auf den Jungen haben kann. Sein Gesundheitszustand wird überwacht und mit den richtigen Medikamenten hat er gute Chancen alt zu werden. Es ist schön zu sehen, wie sich die Kinder über das Essen freuen, doch auf der anderen Seite ist es traurig, wie vielen man nicht helfen kann. Denn solche Geschichten, wie bei diesen beiden, hört Hans hier jede Woche und immer kommt jemand und fragt nach Unterstützung für Schulgeld oder medizinischer Hilfe. Meist ist am nächsten Tag die Deadline für die Examensgebühr oder ein Verwandter braucht dringend Blut. Die Leute wissen, an welche Tür sie klopfen müssen, wenn sie etwas brauchen und schnell fühlt man sich "ausgenutzt". Hans hingegen versucht unermüdlich zu tun, was er kann und jedem zu helfen so gut es geht. Woher er die Energie dafür nimmt, ist mir rätselhaft und oft genug stehe ich nur da und bewundere diese Ausdauer.

Auch im Krankenhaus läuft nicht alles immer nach Plan, denn oft genug sind die Ärzte bei Workshops, die von der Regierung bezahlt werden, und nicht im Krankenhaus. Meist täglich macht Hans Ultraschalls, denn die Mütter vertrauen auf seine Erfahrung und es findet sich niemand anderes, der es übernehmen will. Doch es gibt auch Dinge, die nach Plan laufen, wie z.B. das Infusionprojekt. Dabei stellt das Krankenhaus als einziges in ganz Simbabwe die benötigten Infusionen selbst her. Anfangs war ich nicht ganz überzeugt, denn mir war unklar, ob es unter diesen, für deutsche Verhältnisse eher unprofessionellen Rahmenbedingungen, möglich ist, steril zu produzieren. Doch Brian, der Projektleiter, hat mir gezeigt wie gut und zuverlässig es funktioniert und sogar andere Krankenhäuser sind an dieser Technik interessiert. Hans sagt immer: "Die Simbabwer finden immer einen Weg", und das kann ich definitiv bestätigen. Wie man mit verhältnismäßig wenig Technik etwas so Essentielles schafft, hat mich tief beeindruckt.

Woche 3: Besuch der Schulen

Immer wenn ich vor der Schule aus dem Auto steige, passiert dasselbe: Den Kindern fallen die Augen aus dem Kopf, denn eine "Kiwa" (eine Weiße) sieht man im "tiefsten Busch" selten. Natürlich verbreitet sich die Nachricht über meine Ankunft wie ein Lauffeuer und so begleiten mich bald 300 Augen auf Schritt und Tritt. Komme ich den kleinen Kindern zu nahe, dann rennen sie weg und verstecken sich. Doch schrittweise siegt die Neugier und sie winken mir zurück oder kommen sogar, um mir die Hand zu geben. Dann stolpern sie gleich wieder davon, können ihr Glück nicht fassen und riechen noch den ganzen Mittag an ihren Händen. "Wenn ich groß bin, will ich auch eine "Kiwa" werden", erzählt mir ein Mädchen. Sie sind begeistert von allem, egal was ich mache und so schließen sich mir immer mehr Kinder an, mit denen ich bastle und Armbändchen flechte, die sie dann mit Stolz tragen.

Dann ist "Feeding time": Zuerst bilden die Kleinen eine lange Schlange vor einer Frau mit einem Eimer Wasser, wo sich alle kurz die Hände waschen. Dann reihen sich alle vor der "Küche" auf, einem runden Tonhaus mit Strohdach und einem riesigen Topf Porridge darin. Brav halten sie ihre Teller hin und verschwinden dann im Schatten unter den Bäumen, wo sie sich kreuz und quer hinsetzen. "Für viele war das die einzige Mahlzeit während der Trockenzeit", erzählt die Direktorin, "Jetzt, wo es geregnet hat, können die Familien aber auch langsam ernten." In Anbetracht des freudigen Geschreis beim Läuten der Essensglocke glaube ich das sofort.

Schließlich geht es zurück in die Klassen, nachdem jeder seinen Teller wieder ordnungsgemäß abgewaschen hat. 60 – 80 Kinder pro Lehrer sind keine Seltenheit, denn es gibt oft kein Geld vom Staat für die Gehälter, wie es offiziell heißt. Als ich die Lehrerin frage, wie man 80 Kindern etwas beibringt, lacht sie. Den vorderen 20 könne sie etwas vermitteln, der Rest sitze mehr oder weniger produktiv die Zeit ab. Manche Kinder könnten nach ihrem Abschluss kein Englisch, auch weil der Schulweg bis zu 10 km lang ist und die Schüler nach dieser Anstrengung wenig aufnahmefähig sind. Nach so einem Marsch haben sie Hunger und sparen sich ihre Reserven für den Rückweg. Kein Wunder, dass die Eltern dafür nur ungern ihr sowieso schon knappes Geld ausgeben. In den weiterführenden Schulen sehe es besser aus, allerdings gehe da nicht jeder hin, da die Kinder meist anfangen zu arbeiten und die Mädchen schwanger werden. Die Schulgeldzahlungen des Afrikaprojekts können da zum Glück viele Kinder in der Schule halten, betrachtet man jedoch die Situation im ganzen Land, so ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber eben ein sehr wertvoller.

Eines schafft die Schule aber auf jeden Fall, und das ist Freude für ihre Schüler. Sie können zusammen spielen, kommen mal von zu Hause weg und haben zumindest die Möglichkeit über sauberes Wasser, Krankheiten, etc. aufgeklärt zu werden. Stolz präsentieren sie mir auch ihr Englischbuch "My better world", in dem es vor allem um ihre Lebenssituation und ihre Träume geht. Bei dem Thema "Was mir wichtig ist" steht meist Familie zuoberst, aber auch berufliche Karriere wollen sie machen. Durch Geschichten über Kinder, die zur Schule gegangen sind und einen Beruf erlernen konnten, versucht das Buch ihnen Mut zu machen und sie auch an ihre Träume glauben zu lassen.

Und das tun sie: Krankenschwester, Flugbegleiter, Verkäufer, Manager, wollen sie werden. Und so, wie sie davon reden, hege ich keine Zweifel, dass sie es schaffen können, auch wenn ihnen mehr Steine im Weg liegen als Schülern in Deutschland. Oder gerade deswegen?

Denn vielleicht ist doch alles gar nicht so hoffnungslos, wie es zu Beginn scheint. Natürlich gibt es noch eine Menge zu verbessern und 1000 Möglichkeiten, wo man anfangen könnte. Aber wenn man nie losläuft, kommt man auch nie ans Ziel. Das Afrikaprojekt hat auf dem langen Weg dorthin schon einen riesengroßen Schritt getan und die Früchte dieser Arbeit ernten alle Beteiligten jeden Tag und jedes Jahr. Und jede folgende Generation wird davon mehr und mehr profitieren. Und in Zukunft wird in diesem Land, in dem Himmel und Hölle aufeinandertreffen, dann hoffentlich ein bisschen mehr Himmel sein.

Kyra Lilier, im April 2017
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