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Ein harter Marsch für ein herzliches Dankeschön

Donnerstag 9. Mai 2019

Was sind schon 10.000 Kilometer in klimatisierten Flugzeugen gegen eine 50-Kilometer-Wanderung durch Hitze und Staub? Eine Großmutter nahm sie auf sich.

SZ-Redakteur Marcus Kalmes zu Besuch in Simbabwe beim Buschdoktor aus Dudweiler

Es gibt Momente, die gehen unter die Haut. Sitzt da frühmorgens eine uralte Frau in der Sonne auf dem harten Betonboden. Neben ihr ein Stock. Und ihre Siebensachen. Sie lächelt. Bikani Ndlovu ist 92 Jahre alt – glaubt sie zumindest. Genau weiß sie das nicht. Das Alter spielt in Afrika vielerorts keine Rolle… Die alte Frau wohnt in Sishawe Village. Sie hat die Strapazen eines 50 Kilometer langen Weges ins St. Luke’s Hospital auf sich genommen. Zu Fuß. Per Bus. Und mit Hilda. Die Sechsjährige war vor drei Jahren im Krankenhaus bei Dr. Hans Schales. Bikani Ndlovus Enkelin wurde damals positiv auf HIV und Tuberkulose getestet. Sie musste sechs Wochen lang behandelt werden. Die Tuberkulose hat sie überstanden. Mit dem Aids-Virus muss sie leben. Hilda bekommt Medikamente, die dies ermöglichen. Und sie muss regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen. Dafür kann sie mit ihrer Oma ins Insuza-Krankenhaus. Das liegt in der Nähe von Sishawe Village. Nun ist die Großmutter mit ihrem Enkelkind wieder nach St. Luke’s gekommen. Weil es spät war, haben sie im Dorf neben dem St. Luke’s Hospital übernachtet. Dort ist es laut. Staubig. In einem der vielleicht nur sechs Gebäude – der Rest sind Buden und Hütten – wollte ich mich mit Getränken versorgen.

Das Kabuff, in dem es Getränke gibt, ist dunkel, stickig. Die Musik war so laut, das man sein eigenes Wort nicht verstanden hat. Nach einigem Hin und Her drehte der Verkäufer die afrikanische Pop-Musik leiser. Logisch, dass man feilscht. Ein Betrunkener mischt sich ein. Er will dem weißen Mann offenbar helfen. Oder ein Bier abstauben. Ich lehne dankend ab, bezahle mit US-Dollar. Alles in diesem Land hier ist kollabiert. Wirtschaft. Gesundheitssystem. Finanzsystem. Man kann nur mit US-Dollar zahlen. Oder mit „Bond Notes“ – das ist eine Ersatzwährung, die nach einer Hyper-Inflation den wertlosen Simbabwe Dollar ersetzt hat.

Der Verkäufer reicht mir meine Getränke. Ich sage Siyabonga, was Danke auf Ndebele heißt. Schnell raus hier. Ich fühle mich nicht unsicher, aber unwohl in diesem Kabuff. Ausgerechnet in diesem Umfeld hat die alte Dame mit der sechs Jahre alten Hilda übernachten müssen. Warum sind sie ins St. Luke’s Krankenhaus gekommen, anstatt in die viel nähere Insuza-Klinik zu gehen? Bikani Ndlovu erklärt auf Ndebele. Eine Krankenschwester übersetzt ins Englische. Was sie sagt, ist herzzerreißend. Die vermutlich 92-Jährige ist mit ihrem Enkelkind nach drei Jahren nur wiedergekommen, um zu sagen, dass Hilda lebt. Und dass es ihr den Umständen entsprechend gutgeht. Es ist ihre Art, Dr. Schales und dem St. Luke’s Hospital Danke zu sagen. Wenn man bedenkt, welche Anstrengungen die 50 Kilometer zu Fuß durch den Busch und per Bus über Buckelpisten für so eine alte Frau mit Gepäck und einem sechs Jahre alten Kind im Schlepptau bedeuten… Meine Strapazen mit zwei Tagen Anreise und 10?000 Kilometern von Saarbrücken bis nach St. Luke’s fühlen sich gerade wie nichts an. Dieser Moment, in dem ich die Dankbarkeit und Herzlichkeit von Bikani Ndlovu miterleben durfte, war jede Anstrengung wert. Siyabonga, alte Dame.

Foto: Marcus Kalmes
Foto: Marcus Kalmes