Page 44 - Salibonani_7
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Deadline  für die Examensgebühr  oder ein   feuer und so begleiten mich bald 300 Augen   Englisch, auch weil der Schulweg bis zu 10
          Verwandter braucht dringend Blut. Die Leu-  auf Schritt und Tritt. Komme ich den klei-  km lang ist und die Schüler nach dieser
          te wissen, an welche Tür sie klopfen müs-  nen Kindern zu nahe, dann rennen sie weg   Anstrengung wenig aufnahmefähig sind.
          sen, wenn sie etwas brauchen und schnell   und verstecken sich. Doch schrittweise siegt   Nach so einem Marsch haben sie Hunger
          fühlt man sich „ausgenutzt“. Hans hingegen   die Neugier und sie winken mir zurück oder   und sparen sich ihre Reserven für den Rück-
          versucht unermüdlich zu tun, was er kann   kommen sogar, um mir die Hand zu geben.   weg. Kein Wunder, dass die Eltern dafür nur
          und jedem zu helfen so gut es geht. Woher   Dann stolpern sie gleich wieder davon, kön-  ungern ihr sowieso schon knappes Geld aus-
          er die Energie dafür nimmt, ist mir rätselhaft   nen ihr Glück nicht fassen und riechen noch   geben. In den weiterführenden Schulen sehe
          und oft genug stehe ich nur da und bewun-  den ganzen Mittag an ihren Händen. „Wenn   es besser aus, allerdings gehe da nicht jeder
          dere diese Ausdauer.               ich groß bin, will ich auch eine „Kiwa“ wer-  hin, da die Kinder meist anfangen zu arbei-
                                             den“, erzählt mir ein Mädchen. Sie sind   ten und die Mädchen schwanger werden.
          Auch im Krankenhaus läuft nicht alles   begeistert von allem, egal was ich mache   Die Schulgeldzahlungen des Afrikaprojekts
          immer nach Plan, denn oft genug sind die   und so schließen sich mir immer mehr Kin-  können da zum Glück viele Kinder in der
          Ärzte bei Workshops, die von der Regierung   der an, mit denen ich bastle und Armbänd-  Schule halten, betrachtet man jedoch die
          bezahlt werden, und nicht im Krankenhaus.   chen flechte, die sie dann mit Stolz tragen.  Situation im ganzen Land, so ist das ein
          Meist täglich macht Hans Ultraschalls, denn                           Tropfen auf den heißen Stein. Aber eben ein
          die Mütter vertrauen auf seine Erfahrung   Dann ist „Feeding time“: Zuerst bilden die   sehr wertvoller.
          und es findet sich niemand anderes, der es   Kleinen eine lange Schlange vor einer Frau
          übernehmen will. Doch es gibt auch Dinge,   mit einem Eimer Wasser, wo sich alle kurz   Eines schafft die Schule aber auf jeden Fall,
          die nach Plan laufen, wie z.B. das Infusi-  die Hände waschen. Dann reihen sich alle   und das ist Freude für ihre Schüler. Sie kön-
          onprojekt. Dabei stellt das Krankenhaus als   vor der „Küche“ auf, einem runden Tonhaus   nen zusammen spielen, kommen mal von zu
          einziges in ganz Simbabwe die benötigten   mit Strohdach und einem riesigen Topf Por-  Hause weg und haben zumindest die Mög-
          Infusionen selbst her. Anfangs war ich nicht   ridge darin. Brav halten sie ihre Teller hin   lichkeit über sauberes Wasser, Krankheiten,
          ganz überzeugt, denn mir war unklar, ob es   und verschwinden dann im Schatten unter   etc. aufgeklärt zu werden. Stolz präsentieren
          unter  diesen,  für  deutsche  Verhältnisse    den Bäumen, wo sie sich kreuz und quer   sie mir auch ihr Englischbuch „My better
          eher  unprofessionellen  Rahmenbedingun-  hinsetzen. „Für viele war das die einzige   world“, in dem es vor allem um ihre Lebens-
          gen, möglich ist, steril zu produzieren. Doch   Mahlzeit während der Trockenzeit“, erzählt   situation und ihre Träume geht. Bei dem
          Brian, der Projektleiter, hat mir gezeigt wie   die Direktorin, „Jetzt, wo es geregnet hat,   Thema „Was mir wichtig ist“ steht meist
          gut und zuverlässig es funktioniert und   können die Familien aber auch langsam ern-  Familie zuoberst, aber auch berufliche Kar-
          sogar andere Krankenhäuser sind an dieser   ten.“ In Anbetracht des freudigen Geschreis   riere wollen sie machen. Durch Geschichten
          Technik interessiert. Hans sagt immer: „Die   beim Läuten  der Essensglocke  glaube ich   über Kinder, die zur Schule gegangen sind
          Simbabwer finden immer einen Weg“, und   das sofort.                  und einen Beruf erlernen konnten, versucht
          das kann ich definitiv bestätigen. Wie man                            das Buch ihnen Mut zu machen und sie auch
          mit  verhältnismäßig  wenig  Technik  etwas   Schließlich geht es zurück in die Klassen,   an ihre Träume glauben zu lassen.
          so Essentielles schafft, hat mich tief beein-  nachdem jeder seinen Teller wieder ord-
          druckt.                            nungsgemäß abgewaschen hat. 60 – 80 Kin-  Und das tun sie: Krankenschwester, Flugbe-
                                             der pro Lehrer sind keine Seltenheit, denn es   gleiter, Verkäufer, Manager, wollen sie wer-
          Woche	3:	Besuch	der	Schulen        gibt oft kein Geld vom Staat für die Gehäl-  den. Und so, wie sie davon reden, hege ich
          Immer wenn ich vor der Schule aus dem   ter, wie es offiziell heißt. Als ich die Lehre-  keine Zweifel, dass sie es schaffen können,
          Auto steige, passiert dasselbe: Den Kindern   rin frage, wie man 80 Kindern etwas bei-  auch wenn ihnen mehr Steine im Weg liegen
          fallen die Augen aus dem Kopf, denn eine   bringt, lacht sie. Den vorderen 20 könne sie   als Schülern in Deutschland. Oder gerade
          „Kiwa“ (eine Weiße) sieht man im „tiefsten   etwas vermitteln, der Rest sitze mehr oder   deswegen?
          Busch“ selten. Natürlich verbreitet sich die   weniger produktiv die Zeit ab. Manche Kin-
          Nachricht über meine Ankunft wie ein Lauf-  der könnten nach ihrem Abschluss kein   Denn vielleicht ist doch alles gar nicht so
                                                                                hoffnungslos, wie es zu  Beginn scheint.
                                                                                Natürlich gibt es noch eine Menge zu ver-
                                                                                bessern und 1000 Möglichkeiten, wo man
                                                                                anfangen könnte. Aber wenn man nie los-
                                                                                läuft,  kommt man  auch nie  ans  Ziel. Das
                                                                                Afrikaprojekt hat auf dem langen Weg dort-
                                                                                hin schon einen riesengroßen Schritt getan
                                                                                und die Früchte dieser Arbeit ernten alle
                                                                                Beteiligten jeden Tag und jedes Jahr. Und
                                                                                jede folgende Generation wird davon mehr
                                                                                und mehr profitieren. Und in Zukunft wird
                                                                                in diesem Land, in dem Himmel und Hölle
                                                                                aufeinandertreffen, dann hoffentlich ein
                                                                                bisschen mehr Himmel sein.

                                                                                Kyra Lilier, im April 2017
                                                                                Abiturientin Gymnasium Johanneum





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